1. Herren | Westfalen-Blatt (Bielefeld) | 20.11.15
Bielefelder Handballer stehen den geplanten Regeländerungen ab 2017 überwiegend skeptisch gegenüber. Bis zur universellen Einführung Mitte 2017 vergeht noch geraume Zeit, aber die geplanten Regeländerungen im Handball werden heiß diskutiert – und bei der Frauen-WM im Dezember auch bereits testweise angewandt. Blaue Karte, ein Regel-Riegel gegen Schauspieleinlagen und die präzisere Definition des passiven Spiels werden den Handball verändern.

Das WESTFALEN-BLATT dokumentiert die vorgesehenen Regeländerungen (siehe Kasten) und hat heimische Funktionäre, Aktive und Trainer zu ihrer Meinung befragt.

Michael Neuhaus (Präsident des Westfälischen Handball-Verbandes und jahrelang selbst als Schiedsrichter im Einsatz): »Ich persönlich stehe den Regeländerungen skeptisch gegenüber. Die Regel- und Methodik-Kommission des IHF überfrachtet unsere Sportart und macht das Spiel unnötig kompliziert. Da ist in meinen Augen ein Hang zur Überregulation erkennbar, wobei der Blick auf die Basis verloren geht. Die geplanten Regeländerungen ab 2017, die auf Internationalen Turnieren erprobt worden sind und auch bei der nun anstehenden Frauen-WM teilweise angewandt werden sollen, sind auf dieser Ebene mit Spielleitung und internationalen Schiedsrichtern vielleicht unproblematisch, aber in der Breite nicht notwendig und nachvollziehbar. Nehmen wir die Kreisebene: Durch das Zeitspiel nach sechs Pässen nimmt der Druck auf die Schiedsrichter da noch zu und erschwert die Arbeit. Die Blaue Karte nach der Roten Karte ist auch nur eine Symbolik. Das kann ich aber noch verstehen, weil es die Schiedsrichter entlastet – auch an der Basis. Insgesamt gesehen halte ich ständige Regeländerungen in unserer Sportart für nicht sinnvoll. Im Fußball wird das auch nicht gemacht. Da spricht keiner über Regeln.«

Thomas Boerscheper (Kreisvorsitzender Bielefeld-Herford und zehn Jahre als Schiedsrichter aktiv): »Ich halte es nicht für sinnvoll, jedes Jahr etwas Neues zu machen. In vielen Bereichen geht mir die Entwicklung zu schnell. Man sollte neue Regeln erst einmal über einen längeren Zeitraum ausprobieren, ehe schon wieder etwas Neues kommt. Wir müssen das aber so akzeptieren. Ob der Handball dadurch attraktiver wird, bleibt abzuwarten.«

Thorsten Lehmeier (Sportlicher Leiter des TuS 97 Bielefeld-Jöllenbeck und ehemaliger Torwart): »Ehrlich gesagt, bin ich gar nicht mehr so regelkundig, was die vielen kleineren Änderungen anbelangt. Der Handball ist in der Vergangenheit durch Einführung der schnellen Mitte sicherlich schneller und attraktiver geworden, aber man könnte jetzt auch alles so lassen, wie es ist. Ständige Neuerungen halte ich für verwirrend. Dass künftig bei angezeigtem Zeitspiel nur noch sechs Pässe gespielt werden dürfen, finde ich gut, weil es bislang nur im Ermessen der Schiedsrichter liegt, wann abgepfiffen wird.«

Michael Boy (Trainer des Oberligisten TSG A-H Bielefeld): »Veränderungen sind oft gut. Das ein oder andere hört sich ordentlich strukturiert an. Allerdings sind die Schiedsrichter jetzt schon oft mit dem Momentum überfordert. Am Zeitspiel musste dringend etwas getan werden. Diese Auslegung wird mir oft viel zu willkürlich ausgelegt. Allerdings stelle ich mir jetzt schon vor, wie die Kollegen dann in der Hektik versuchen mitzuzählen. Da dürfte es noch zu der einen oder anderen strittigen Situation kommen. Schauspieleinlagen habe ich gar nicht so in Erinnerung; wer da am Boden lag, hatte wirklich was abgekriegt. Dass taktische Fouls in der Schlussphase mit einem Siebenmeter geahndet werden sollen, finde ich ganz gut. Und ich werde definitiv weiter am siebten Feldspieler festhalten. Das heißt dann für den betreffenden Mann: noch schneller zur Bank zurück! Die Auslösehandlung muss dann halt anders strukturiert werden, banknäher.«

Jannis Johannmeier (Linksaußen des Landesligisten TuS Brake): »Dass am Zeitspiel gedreht wird, ist eine gute Sache. So gibt’s endlich eine klare Regel, an die man sich halten kann. Da kannst du dich als Spieler drauf einstellen. Bislang ist’s mir viel zu subjektiv. Die Blaue Karte empfinde ich als überflüssig. Ein Viertel des Publikums wird’s nicht verstehen, nur ein weiteres Fragezeichen. Zur Schauspielerei: Handballer sind keine Fußballer. Dennoch finde ich den Ansatz gut, die Unterbrechungen minimieren zu wollen. Gespannt bin ich, wie ab 2017 die letzte Minute in knappen Spielen aussieht. Das könnte eine einzige Foulschinderei mit fünf, sechs Roten Karten werden. Mal sehen, wie die Schiedsrichter durchgreifen.«

Sven Windmann (Kreis-Schiedsrichterwart Bielefeld-Herford und selbst aktiver Schiedsrichter): »Grundsätzlich sehe ich keinen Handlungsbedarf, erneut in das Regelwerk einzugreifen, weil der Handball seit Einführung der schnellen Mitte unglaublich an Tempo gewonnen hat und die Schiedsrichter dadurch mehr gefordert sind. Wir müssen auch noch abwarten, ob die geplanten Änderungen überhaupt kommen und sich auf allen Ebenen durchsetzen werden. Die angedachte Neuregelung mit den verletzten Spielern finde ich gar nicht so schlecht. So kann man Schauspielereien einen Riegel vorschieben – zum Beispiel dass Spieler am Boden liegen bleiben, um einen Gegenstoß des Gegners zu verhindern. Was das passive Spiel anbelangt, so halte ich die geplante Änderung mit den sechs Pässen für überflüssig. Als Schiedsrichter bist du momentan schon angewiesen, nach fünf Pässen Zeitspiel abzupfeifen, wenn eine Mannschaft keinen Druck aufs Tor ausübt. So gesehen ändert das nur wenig.«

Die künftigen Regeln: Mitzählen ist erforderlich – Blaue Karte nach »Rot«

Fünf Neuerungen, die Mitte 2017 in Kraft treten sollen, stellt der Deutsche Handballbund seit einigen Tagen auf seiner Homepage vor. Die Erläuterungen in Auszügen:

Siebter Feldspieler statt Torwart: Künftig muss ein siebter Feldspieler nicht mehr mit einem andersfarbigen Trikot oder Leibchen als Torwart gekennzeichnet sein. Dann darf er oder sie aber auch nicht mehr die »Aufgaben« des Torwarts erfüllen und zum Beispiel den Sechs-Meter-Raum betreten – sonst gibt es einen Strafwurf. Es ist aber weiterhin erlaubt, einen siebten Feldspieler als »Ersatztorwart« zu kennzeichnen, der den eigenen Torraum betreten darf.

Verletzte Spieler: Um Schauspieleinlagen einzudämmen, die den Gegner am schnellen Spiel hindern, hat die IHF-Regelkommission folgende Änderung beschlossen: Die Zahl der Behandlungen auf dem Feld soll reduziert werden, nur in berechtigten Fällen sollen die Schiedsrichter Offizielle der Mannschaften aufs Feld lassen. Wird er auf dem Feld behandelt, muss der verletzte Spieler allerdings drei Angriffe seiner Mannschaft auf der Bank pausieren, ehe er wieder aufs Feld darf. Ein anderer Spieler nimmt seinen Platz ein. Von dieser Regeln ausgenommen sind zwei Fälle – Behandlungen von Torhütern nach Kopftreffern und: Wenn der Gegenspieler nach einem Foul mit »Gelb«, »Rot« oder zwei Minuten bestraft wird, darf der Spieler auf dem Feld bleiben.

Passives Spiel (Zeitspiel): Wenn die Schiedsrichter das Zeichen für Zeitspiel geben, darf die angreifende Mannschaft nur noch sechs Pässe spielen, bevor abgepfiffen wird und der Gegner den Ball erhält. Diese sechs Pässe werden auch dann nicht unterbrochen, wenn die gegnerische Mannschaft einen Wurf abgeblockt hat oder die Angreifer einen Freiwurf erhalten.

Besondere Regelungen für die letzten 30 Sekunden: Begeht ein Abwehrspieler in diesem Zeitraum eine grobe Regelwidrigkeit oder blockiert zum Beispiel einen Anwurf oder Freiwurf, erhält er eine Rote Karte (ohne Zusatzbericht) und - das ist neu - die angreifende Mannschaft automatisch einen Siebenmeter. Allerdings wird nicht jedes Fouls in den letzten 30 Sekunden nach dieser Regel geahndet.

Blaue Karte: Um allen nach einer Roten Karte sofort klar zu machen, ob ein Zusatzbericht folgt, der eine Sperre nach sich zieht, werden die Schiedsrichter in solchen Fällen nach der Roten auch eine Blaue Karte zeigen.

Neuste Galerie

09.02.24: 1. Herren - TV Emsdetten

Weitere 7707 Bilder sind in der Galerie.