25 Jahre Mauerfall: TSG-Handballer Christian Grunow erinnert sich an die turbulente Zeit der Wende. Die Klamotte hat ihre besten Tage lange hinter sich. Doch Christian »Kiki« Grunow (42) hat diesen zerschlissenen Wohlfühlbademantel, Marke Dittsche, in sein Herz geschlossen. »Der hat mich schließlich viele Jahre begleitet«, sagt Grunow über das braun-gelb-rot-gestreifte Relikt aus seiner DDR-Vergangenheit.

Versonnen blättert er in einem Fotoalbum, das Mutter Eleonore ihm mit viel Liebe zum 40. Geburtstag gebastelt hat. Der kleine Kiki bei der Jugendweihe (»Dazu gab´s ein Buch von unserem Astronauten Dr. Sigmund Jähn«), der große Handballer Kiki beim ersten gesamtdeutschen Lehrgang der A-Jugend-Nationalmannschaft in Essen (»Mit Stefan Kretzschmar, Jörg Förderer, Frank von Behren, Christian Ramota . . .«), Familie Grunow neben ihrem Trabbi-Kombi . . .


Privilegien als Sportler
Christian Grunow ist in Neubrandenburg groß geworden. Erst wenige Tage vor dem Mauerfall hat der DDR-Auswahlspieler seinen 17. Geburtstag gefeiert. In der Fritz-Lesch-Sportschule Frankfurt/Oder genoss der athletische Handballer die Vorzüge der systematischen Eliteförderung, steckte mitten in der Abiturphase. »Eine total stressige Zeit. Doch es ist uns gut gegangen. Wir haben im Gegensatz zu anderen nicht gelitten«, weiß Grunow von »vielen Privilegien« zu berichten, die die Einkasernierung in der Sportschule mit sich brachte. »Wir sind hofiert worden.«

Begrüßungsgeld geholt
Am Sonntag jährt sich der Tag des Mauerfalls zum 25. Mal. »Ich weiß noch; der 9. November 1989 war ein Donnerstag. Wir sind am nächsten Tag mit ein paar Jungs heimlich nach Berlin gedüst, um uns das Begrüßungsgeld abzuholen. Am nächsten Tag hatten wir in der Juniorenliga ein Spiel.« Nun ging das leider verloren, und Trainer Joachim Pietzsch, ein DDR-Handball-Idol, »hat irgendwie rausgekriegt, was wir als Spielvorbereitung gemacht haben. Mann, hat der uns langgemacht.«

In der Klasse FDJ-Sekretär
Christian Grunow war in seiner Klasse FDJ-Sekretär und musste als solcher den 40. Jahrestag der Republik im Oktober 1989 mit vorbereiten. Die Freie Deutsche Jugend hatte die ideologische Aufgabe, die Jugend in den Marxismus-Leninismus einzuführen und zu »klassenbewussten Sozialisten« zu erziehen. »Natürlich sind wir in der Sportschule instrumentalisiert und linientreu gemacht worden«, meint Grunow heute.

Urlaub in Ungarn
Bei ihrem gemeinsamen Urlaub 1989 in Ungarn wurden Christian Grunow und seine Schwester Janet (HSE Hamm), die später Kapitänin der Frauen-Nationalmannschaft werden sollte, zu Zeugen von Zeitgeschichte. »Die Leute sind massenhaft über die geöffnete Grenze nach Österreich abgehauen.« Die Geschwister hegten derlei Ambitonen nicht. Das Netzwerk Sport genoss in der früheren DDR halt eine zu hohe Wertschätzung. »Ich habe schöne Erinnerungen an die DDR. Wir kannten ja nichts anderes. Die Privilegien, die guten Grundlagen, die wir durch den Sport bekamen, weckten keine Wünsche, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Erst nach der Wende ist uns deutlich vor Augen geführt worden, was uns alles gefehlt hat. Vor allem Freiheit.«

Die Tränen des Vaters
Die friedliche Revolution, die die Mauer zu Fall brachte und ein Jahr später zur Wiedervereinigung Deutschlands führte – Grunow hat die Tränen seines Vaters nicht vergessen. Bei den Montags-Demonstrationen seien Menschen von der Staatssicherheit geschlagen, ja misshandelt worden. »Er hatte richtig Angst um uns. Es war nicht absehbar, welches Ende die Entwicklung nehmen würde.« Ulrich Grunow war einer, der »das Herz auf der Zunge« trug. »Er hatte zum Glück immer eine schützende Hand aus dem Sport über sich. Seine Äußerungen hätten sonst auch ein anderes Ende finden können.«

Die Reise nach England
Der erste Urlaub in die neue Welt führte Familie Grunow im Sommer 1990 für 14 Tage nach Britannien; London, Oxford. »Meine Mutter war Englisch- und Deutschlehrerin. Doch sie hatte nie zuvor die Möglichkeit, ins Angelächsische zu fahren«, berichtet Grunow von einer abenteuerlichen Fahrt im Trabbi-Kombi. »Wir kamen als letztes Auto von der Fähre, und die Leute staunten: Was, das Teil kann fahren ?«

1992 ins Lipperland
Dass Grunow 1992 in den Westen übersiedelte auf der Suche nach einer neuen sportlichen Perspektive, lag daran, dass der Armeesportklub Vorwärts Frankfurt/Oder seine Handball-Männermannschaft aufgelöst hatte. »Männer und Frauen haben beide in der Bundesliga gespielt. Doch es konnte nur ein Team gehalten werden. Die Männer waren gerade abgestiegen, die Frauen führend; da fiel der Vereinsführung die Entscheidung leicht.« Nach Probetrainings in Burgdorf und Bad Salzuflen entschied sich Christian Grunow 1992 für den lippischen Handball-Nachbarn, der 1992/93 von Peter Kovac trainiert wurde. Dort spielte bereits eine stattliche Ost-Delegation aus Zwickau: Jens Kürschner, Jens Freier, Jörg Szabadi. 1997 schloss Grunow sich dem damaligen Zweitligisten TSG Bielefeld an.

60. Sportschule-Jubiläum
Erst neulich konnte Kiki Grunow mit vielen Ehemaligen wieder in Erinnerungen schwelgen. Die Sportschule Frankfurt/Oder feierte ihr 60-jähriges Bestehen mit einem mehrtägigen Jubiläumsprogramm. Motto: »Wir in unserer Zeit.« Festlicher Höhepunkt war ein Sportball in den Messehallen mit etwa 1000 Gästen, darunter auch Prominenz wie Boxer Henry Maske. »Wir haben getanzt bis in die Puppen«, sagt Christian Grunow. Mit Thomas Lay (TG Hörste) oder Rüdiger Traub reisten auch andere bekannte Handballer aus der Region in die Vergangenheit.

Christian Grunow hat längst seinen Frieden mit der DDR geschlossen. Auch wenn das stetig wachsende Aufdecken des dunklen Netzwerkes der Staatssicherheit anfangs wie ein Schock wirkte. Auf einen Einblick in seine Stasi-Akte hat er verzichtet.

Ebenso hat er unter das in der Sportschule allgegenwärtige Thema Doping (»Wir haben auch kleine Tütchen bekommen. Ich möchte nicht wissen, was darin war«) einen Schlussstrich gezogen.

Zeitenwende ins Glück
Der Mauerfall: Für Christian Grunows persönliche Biografie eine Zeitenwende ins Glück. »Plötzlich stand für mich die Welt offen.« Er hat den Reigen der neuen Chancen für sich zu nutzen gewusst. Der selbständige Finanz- und Versicherungsmakler ist seit 13 Jahren glücklich verheiratet mit seiner Sandra. Zoé (10) und Mads (6) nennt er liebevoll »Wossis. Halb Wessi, halb Ossi.« Beide spielen – natürlich – Handball bei der TSG. Bei jenem Verein, für den Grunow zwischen 1997 und 2010 insgesamt 245 Spiele in der 1. Mannschaft bestritten hat. Damit gehört er neben Carsten Kappelt (259), Henrik Ortmann und Johann-David Starck (beide 252 Einsätze) zu den Fantastischen Vier in den Vereinsannalen. Heute noch wirft er Tore in der »Dritten« in der Kreisliga A. Demnächst zieht es ihn wie jedes Jahr für einige Wochen auf den Leipziger Weihnachtsmarkt, wo er einen Stand mit bestückt. »In der DDR ist Leipzig als stinkende Stadt verschrien gewesen. Heute ist es da wunderschön.«

Die DDR ist tot – doch Christian Grunow versichert: »Es war nicht alles schlecht.«

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